Heyweiler, 1259-2009, 750 Jahre Dorfleben im Vorderhunsrück: ein historischer Abriss ODER alternativerweise: 750 Jahre Sackgasse

 

Reiner Rittersma
Heinwylre
Was keinen Pappenstiel wert ist, kann man auch schwerlich schaden. Ausgerechnet die (angeblich!) erste urkundliche Erwähnung von Heyweiler besagt aber, dass dem damaligen Besitzer, dem Grafen von Sponheim, einiges an Heinwylre gelegen war. Denn als Wiedergutmachung der zu Heinwylre und sonstwo zugefügten Schadens musste der Herr von Ehrenburg, der den Streit ausgelöst hatte, seine Steuerabgaben an den Grafen von Sponheim um 40 Mark aufstocken. Vielsagenderweise wird Heyweiler in dieser Urkunde als einzige Ortschaft explizite erwähnt. Bedeutsam ist auch die Höhe des vereinbarten Schadenersatzes, sowie die zusätzliche Bestimmung, dass der Herr von Ehrenburg dieser finanziellen Bürde nicht enterbt werden konnte.

El Dorado am Baybach
Also trotz der Tatsache, dass Heyweiler nicht das Hauptthema dieses Dokuments bildete, sondern eher nebenbei Erwähnung fand, lässt gerade der explizite Verweis auf Heyweiler vermuten, dass die Siedlung schon viel länger bestand. Dafür gibt es noch mehr Hinweise, aber eben keine Beweise. Ein Indiz ist zum Beispiel der Ortsname selber. Aufgrund von namenkundlichen Forschungen ist festzuhalten, dass die Siedlungsnamen mit Suffix –weiler ab dem 8. und 9. Jahrhundert den Hunsrück erreicht haben und dass es seit dem 10. Jahrhundert keine Neubildungen mehr gegeben hat. Ganz abgesehen von der Namensgebung ist es jedenfalls ausgewiesen, dass sich in dieser Ecke schon viel früher Menschen angesiedelt haben. Das haben die Bodenfunde, die in der Vor- und Nachkriegszeit an der West- und Ostseite des heutigen Dorfes gemacht wurden, gezeigt. Für Heyweiler ist es sowieso über jeden Zweifel erhaben, dass dieser herrliche Ort am Baybach, wo die milde Luft und die Südhanglage die Knospen der Kirschbäume immer etwas früher aufbrechen lässt, vor 1259 schon längst besiedelt war.

Sponheim
Genug geschwärmt, zurück zu den harten Fakten! Heyweiler gehörte seit dieser ersten urkundlichen Angabe bis tief ins 18. Jahrhundert politisch zur Grafschaft Sponheim, die große eile des heutigen Rheinland-Pfalz kontrollierten. In historischen Dokumenten tauchte das Dorf mit verschiedenen Ortsnamen auf: 1259 Heinwylre, 1310 Heymwilre, 1407 Heimwyler, 1438 erstmals als Heyweiler, 1443 Heuwiller, 1469 Heinwilre, 1528 Heinweiler, 1740 Heyweiller.

Protestanten in der Zerstreuung
Ein wichtiger historischer Einschnitt war die Reformation, die dafür sorgte, dass Heyweiler über Jahrhunderte hinweg eine Art protestantische Insel inmitten katholischer Gebiete war. Da die Sponheimer sich 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden für die neue Lehre entschieden hatten, wurde Heyweiler der neu gebildeten lutherischen Gemeinde Gödenroth zugeschlagen. Vorher hatte Heyweiler zur Pfarrei Beltheim gehört. Trotz der Regelung des Augsburger Friedens, der es jedem Gebiet ermöglichten sollte, seine eigene Religion auszuüben, begegneten die hiesigen Protestanten regelmäßig Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung. Das Adelsgeschlecht der Bassenheimer, das von den Sponheimern u.a. Heyweiler, Sevenich und Schnellbach gelehnt hatten, war nämlich katholisch und tat alles daran, dem Katholizismus Vorschub zu leisten. Um die Spannungen zu vermindern, schlossen die Sponheimer 1584 einen Vertrag über die freie Religionsausübung mit den Bassenheimern. Das bedeutete praktisch, dass die Heyweiler (die ja damals noch keine eigene Kirche besaßen) bis 1696 in Sevenich ihre Gottesdienste belegen durften. Aber der Vertrag funktionierte nur halbwegs, denn aus den kirchlichen Archiven geht hervor, dass besondere Anlässen wie z.B. Bestattungen oder Eheschließungen nach wie vor Konflikte auslösten.

Katechismus und Branntwein
Soweit die ‚offizielle Geschichte‘, aber wie sah das tagtägliche Leben der Heyweiler in dieser Zeit aus, was bewegte sie? Das Bild, das uns Visitationsberichte aus dem 16. und 19. Jahrhundert überliefern, zeigt, dass die Vorfahren vor allem zwei Sachen die Treue hielten: der Kirche und dem Branntwein. Die Berichterstatter hatten viel Positives zu melden: „Die Jugend ist im Katechismus wohl bewandert.“ Auch „sei kein Sektierertum vorhanden.“ Während das Volk „was den Kirchenbesuch angeht“ im Jahre 1566, also kurz nach der Einführung der Reformation, noch als „unfleißig in allen Stücken“ galt, so war das seelische Leben der Heyweiler 300 Jahre später musterhaft. Schrieb Pfarrer Friedrich Back doch um 1846: „Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass in keiner Gemeinde des Synodalbezirks das Verlangen, allsonntäglich sich im Hause des Herrn zu erbauen, stärker ist, als in der Gemeinde Heyweiler. Rufen die Glocken, so strömt jung und alt nach dem Gotteshaus. Häuser werden zeitweise geschlossen, und nur die Kranken mit ihren Pflegern und die ganz kleinen Kinder bleiben zurück.“

Verdorbene Dorfjugend
Der Dorfjugend widmete Back ein spezielles Wort: „ Regelmäßig kommen die Katechumenen und Konfirmanden nach Gödenroth, obgleich die Wege nach Gödenroth unter der Witterung leiden, und oft werden die Kinder, wenn sie mit ihren Bibeln und dem Katechismus durch das katholische Beltheim ziehen, von der katholischen Jugend mit Spottversen und Neckereien überhäuft.“ Die Älteren im Dorf können sich heuzutage noch gut an solchen Schikanen erinnern. Aber die Jugend von Heyweiler besuchte nicht nur treu die Katechese, sondern auch die Wirtsstuben und machte sich des weiteren der „Nachtschwärmerei“, „der Hurerey“, „ der vorehelichen Schwängerung“ und anderer Unsitten schuldig. Die Jugend war also auch damals schon verdorben und wird es auch wohl immer bleiben. Nicht dass die Erwachsenen damals viel besser waren als heute: Derselbe Pfarrer Back verordnete zur Aufrechterhaltung der Stille und der Ordnung in den Kirchen, dass „das Mitnehmen von Branntwein auf den Kirchgang bei Hochzeiten und das Verteilen unter die Leute, die ihm begegnen, untersagt ist.“ Auch von „Saufgelagen“ und „Tanzlustbarkeiten“ ist öfter die Rede.

Überfremdung: Weyhweiler
Der mündlichen Überlieferung nach hat der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) dem Dorf fast den Garaus gemacht. Nur sieben Menschen hätten die Kriegswirrnisse und die Pest überlebt. Für neuen Schwung sorgten dann die Einwanderer, die aus Monschau hierhergezogen seien und in Heyweiler eine neue Existenz aufgebauten hätten. Schlagartig gab es so viele Weyhs, dass man das Dorf besser in Weyhweiler hätte umbenennen können.1 Den Weyhs gefiel es hier offensichtlich, denn sie sind nach wie vor stark vertreten. Durch die Jahrhunderte hindurch haben die Dorfbewohner sich an Fremden gewöhnt. Der Hunsrück war öfter ein Durchzugsgebiet für ausländische Truppen und wurde u.a. von den Spaniern, Franzosen, und den Preußen besetzt. Auch heute noch ist Heyweiler leicht überfremdet: der Ort ist offenbar ein attraktives Ziel für Einwanderer, denn es gibt Amerikaner, ein Pole, Leute aus Litauen und dem Ruhrgebiet und eine holländische Familie.

Kirchenbau
Ein wichtiger Moment in der Dorfgeschichte war ganz bestimmt der Bau der ersten eigenen Kirche um 1733-1735. Damit wurde ein tiefer Wunsch erfüllt: vorher hatte man immer den Gang nach Sevenich, Gödenroth, Roth oder sogar Kastellaun machen müssen. Von nun an kam es aber auf die „körperliche Rüstigkeit“ der Pfarrer an. Wenn sie Glück hatten, konnten sie über die Beltheimer Heide laufen (immerhin 20 Minuten kürzer als über Beltheim), aber das hing auch von der Witterung und der Jahreszeit ab. Mehrmals findet man in den kirchlichen Dokumenten Klagen über die anstrengende Reise nach Heyweiler, der nicht alle Pfarrer gewachsen waren. Mit der Gründung der eigenen Kirche ging auch ein langwieriges Gezänk zu Ende: hatten die Heyweiler, die in den historischen Dokumenten öfter als „querulantierend“ (zänkisch), oder als „diese halsstarrigen Leute“ dargestellt wurden, sich doch endlich mit ihren Forderungen durchgesetzt.

Am Rande aber nicht marginal
Aufgrund der kirchengeschichtlichen Dokumentation kann man feststellen, dass die Dorfbewohner schon sehr selbstbewusst waren: 1715 verstieß die Gemeinde Heyweiler „auf eine ärgerliche und freventliche Weise“ gegen die von dem Landesherrn Herzog Christian IV. erteilte Verordnung zur Haltung des Gottesdienstes. Schon vor dem Bau der Kirche wurden alle drei Wochen Gottesdienste in Heyweiler abgehalten und die Dorfbewohner mussten als Gegenleistung siebenmal im Jahr nach Roth und zehnmal nach Gödenroth kommen. Davon hatten die Heyweiler aber bald die Nase voll und gingen nach Kastellaun oder woanders zur Kirche, und somit musste der Herzog selber eingreifen um den Konflikt zu lösen. Ein anderes Beispiel des Selbstbewusstseins war das verlockende Angebot, das die Gemeinde Heyweiler 1843 Pfarrer Eberlein machte: „wenn er an Weihnachten, Neujahr, Karfreitag und Himmelfahrt bei ihnen Gottesdienste halte, so solle er von jedem Bürger statt bisher ¾ Pfd. Flachs jährlich mit je 2 Pfd. entschädigt werden.“ Dieser freiwillige Kirchensteuererhöhung wurde folgendermaßen begründet: „Man müsse sich schämen, dass, wenn in den katholischen Orten rundherum an diesen Festtagen Gottesdienst sei, wir Evangelische keinen haben. Der Pfarrer stimmte „in Berücksichtigung seiner zahlreichen Familie“ nur allzu gerne zu. Das Dorf zählte damals nämlich 32 evangelische Familien (und 5 katholische), sodass das Angebot einer beträchtlichen Gehaltserhöhung gleich kam.

Dorfschule
In der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts hat man Hälauch versucht, den Unterricht der Dorfjugend zu verbessern, indem man ‚Winterschulen‘ eingerichtet hat. Das bedeutete, dass junge Männer von St. Martin bis Ostern nach Heyweiler kamen und hier lehrten, um so den Kindern den anstrengenden Weg nach Gödenroth zu ersparen. Man soll sich aber nicht all zu viel von der Qualität dieses Unterrichts vorstellen, denn von einem Lehrer hieß es, dass er „im Gehirn verwirrt war und beständig im Bett lag“, „herumzog und Weinschenken besuchte“, und sich in Kastellaun „mit starken Getränken überladete, dass er sich dort in Privathäusern ins Bett legen musste und öfter 2-3 Tage nicht nach Hause kam.“ So sieht man, gebildet oder ungebildet, jedermann guckt manchmal zu tief ins Gläschen. Das Schulsystem hat sich erst seit der preußischen Zeit (ab 1815) wesentlich verbessert. Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung war 1824 der Bau des Schulhauses (schräg gegenüber der Kirche). Andere Meilensteine in der Dorfgeschichte des 19. Jahrhunderts waren die Vergrößerung des Friedhofs (1858) und die Planung einer Renovierung bzw. eines Neubaus der Kirche. Am 23. Juli 1914, eine Woche vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, fand die Einweihung der neuen Kirche statt.

Weltkriege
Es folgte die stürmische Periode der Weltkriege, der Wirtschaftskrise und des Wiederaufbaus. Dank seiner eigentümlichen isolierten Lage, weit weg von der strategischen Hunsrückhöhenstraße, ist das Dorf im Zweiten Weltkrieg unverschont davongekommen. Das Baybachtal mit seinen stillgelegten Schieferstollen bot den Bewohnern einen sicheren Unterschlupf für die Gefechte im März 1945. Die Amis eroberten die Gegend, aber es wurde lange Zeit keiner gesichtet in Heyweiler. Um ein Haar hatte Heyweiler das Ende des Weltkriegs verpasst, aber eine Woche später trafen die Amis hier doch ein, entleerten das halbe Dorf und quartierten sich ein. Ab Juli hielten sich französische Soldaten im Dorf auf, „die mit Handgranaten die Forellen im Baybach schossen.“

Nachkriegszeit
Die ersten Nachkriegsjahren waren unvorstellbar schwer und erforderten viel Improvisationstalent um halbwegs leben zu können. Davon gibt es vielsagende Beispiele: Aus einer schwarz gefärbten Hakenkreuzfahne und aus einem Fallschirm wurden 2 Röcke bzw. 2 Blusen für zwei jüngere Landfrauen gemacht. Und nach einer miserablen Kartoffelernte im Sommer 1947 brachten Bucheckern wie „Manna vom Himmel“ Rettung. Es gab in diesem Jahr soviel, dass die Bäume „fast zusammenbrachen“ und sie waren damals Gold wert. Ab den fünfziger Jahren ging es schon wieder aufwärts und es wurden die ersten Traktoren und Autos und später auch die ersten Mähdrescher und Kartoffelroder im Dorf gesichtet. Mit dem Aufstieg der modernen Agrarwirtschaft und den zunehmenden Erwerbsmöglichkeiten entschieden sich immer mehr Dorfbewohner dafür, sich von der Landwirtschaft als Vollerwerb zu verabschieden. Für die meisten unter Ihnen war es allerdings kein endgültiger Abschied, denn sie arbei(te)ten oft als ‚Mondscheinbauern‘ weiter. Auch der Tourismus und die Sargfabrik der Brüder Merg sorgten für Betrieb. ‚Fortschritt‘ und Wandel waren aber kaum aufzuhalten und so führte der Bau der Straßen nach Sevenich und in Richtung Sabershausen dazu, dass Heyweiler schon seit über 30 Jahren keine Sackgasse mehr ist.

Quellen und Literatur:
Artikel „Heyweiler“, in: Landratsamt Simmern (Hrsg.), Landkreis Simmern (Bonn 1967), S. 245-246. Artikel „Heyweiler“, in: M. Backes u.a. (Hrsg.), Die Kunstdenkmäler des Rhein-Hunsrück-Kreises. Teil 1: ehemaliger Kreis Simmern (München 1977), S. 393-395.
Edith Petry (geborene Wendling), Familienchronik (unveröffentlicht)
Martina Pitz, Siedlungsnamen auf – villare (-weiler, -villers) zwischen Mosel, Hunsrück und Vogesen. Untersuchungen zu einem germanisch-romanischen Mischtypus der jüngeren Merowinger- und der Karolinger zeit (Saarbrücken 1997).
Gustav Schellack, Kirche im Dorf. Geschichte der evangelischen Kirchengemeinden Gödenroth – Heyweiler – Hollnich – Roth (Argenthal 1989)
Ernst Schrooten, Arbeitsdatei „Heyweiler“ (unveröffentlicht)
Ernst Schrooten, Historisches aus der Kirchengemeinde Sevenich-Hunsr. (Sevenich 1997)